Nach dem ersten Teil über das große Thema Ehe nehmen wir heute einen weiteren wichtigen Aspekt in den Blick: Sexualität.
Die meisten Menschen kennen diesen Satz: „Kein Sex vor der Ehe!“ Christlich erzogenen Kindern wird er häufig in den Ohren hallen. Und ihren Eltern werden die Alarmglocken im Kopf läuten, wenn die Heranwachsenden mit ihrer Bekanntschaft ins Kinderzimmer gehen und die Türe hinter sich schließen. Tatsächlich äußert sich die Bibel hier recht klar: „Kein Sex vor der Ehe!“ Aber was ist Sex? Wo fängt Sex an? Wikipedia definiert Sex als „Handlungen zwischen zwei Sexualpartnern, insbesondere Geschlechtsverkehr und vergleichbare Sexualpraktiken, im weiteren Sinne auch die Masturbation“.
Verliebte Christen ziehen häufig ihre eigenen Grenzen – von „wir gehen sehr locker mit diesem Thema um“ bis „wir nehmen uns vor, uns bis zur Hochzeit nicht zu küssen“ gibt es eine Bandbreite an Meinungen zu diesem Thema. Das Ziel dieses Artikels soll es deshalb nicht sein, irgendeine Praxis zu verurteilen, sondern einige Eckpunkte zu nennen und Hintergrundinformationen und Leitlinien zu geben, damit Leser ihre eigene fundierte Entscheidung treffen können.
Auch wenn es durch das von Medien vermittelte Bild vom Christentum so scheinen mag, als sei Sex für gläubige Menschen nur das Mittel zur Fortpflanzung und nicht zur Freude gedacht oder gar verboten, spricht die Bibel hier sehr differenziert.
Die jüdische Tradition, in welcher die Texte verfasst wurden, nimmt die Schöpfungstheologie sehr ernst. Den Schreibern liegt meist eine grundsätzlich positive Einstellung zur Sexualität zugrunde:
Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: „Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde“
Wenn die allererste Anrede des Menschen durch Gott in der Bibel eine so positive Konnotation hat, ist es gut verständlich, dass
Sex in der Verfassungszeit der Alttestamentlichen Bibelschriften oder zur Zeit der paulinischen Briefe im jüdischen Kontext sehr positiv wahrgenommen wurde.
Das Hohelied der Liebe gibt uns einen Einblick in das Gefühlsleben eines Paares aus dieser Tradition:
Hoheslied 2, 16-17: Mein Freund ist mein und ich bin sein, der unter Lotosblüten weidet. Bis es Tag wird und die Schatten schwinden, wende dich her gleich einer Gazelle, mein Freund, oder gleich einem jungen Hirsch auf den Balsambergen.
Liest man den Kontext, so fällt auf, dass der Text in keinem Fall nur von irgendeiner abstrakten Form der Liebe handeln kann: Das gesamte Buch ist geschrieben als Lied, als Duett zweier Liebenden. Es ist die körperliche Liebe, von der hauptsächlich berichtet wird: „Zeige mir deine Gestalt“ (2,14), „wie ein Büschel Myrrhen, das zwischen meinen Brüsten ruht“ (1,13), „Ich hielt ihn und ließ ihn nicht los, bis ich ihn brachte in meiner Mutter Haus, in die Kammer derer, die mich geboren hat.“ (3,4), „Deine beiden Brüste sind wie zwei Kitze, Zwillinge einer Gazelle“ (4,5).
Auch diese Zitate stehen so in der Bibel. Ihr geht es also beim Thema Sex auch um die Erotik, das Sinnliche der Erfahrung und der Lust.
Sexualität darf Spaß machen!
Dass die Bibel Sexualität in den Rahmen der Ehe stellt, ist weithin bekannt. Die Gründe hierfür sind es häufig allerdings weniger. Viele Bibelwissenschaftler geht davon aus, dass das Verbot des außerehelichen Geschlechtsverkehrs hauptsächlich auf fehlende Verhütungsmöglichkeiten und mangelnde gynäkologische Kenntnisse zurückzuführen ist, weshalb Sex häufig zur Schwangerschaft führen konnte. In der von Großfamilien und Patriarchaten geprägten Kultur des Alten Testaments konnte eine Schwangerschaft außerhalb des verbindlichen Zusammenlebens zu großer Instabilität des sozialen Gefüges führen. Von diesem Blickwinkel ausgehend fällt es leicht zu verstehen, dass deshalb große Anstrengungen unternommen wurden, junge Menschen (insbesondere Frauen) keusch zu erziehen.
Und an diesem Punkt zeichnet sich die unausweichliche Frage langsam ab: Ist das Verbot des außerehelichen Geschlechtsverkehrs, vor allem seit der sexuellen Revolution in den 70ern noch zeitgemäß? Beziehungsweise: Kann Gott es gutheißen, wenn Menschen bereits vor der Ehe Sex haben? Im Folgenden werden die Sichtweisen einiger Theologen und Institutionen wiedergegeben.
- Luther: „Wenn doch nur jeder, der sich einer Weibsperson näherte, bedächte klug und ruhig, was wohl aus den Kindern werden sollte, die aus seiner Brunst entstehen könnten. Denn ich habe es mein Lebelang gehört, daß für diese unschuldigen Würmlein schlecht oder gar nicht gesorgt wird, und daß man sich, wenn es vorbei ist, ihrer schämt.“
- Katechismus der Katholischen Kirche: „Unzucht ist die körperliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet sind. Sie ist ein schwerer Verstoß gegen die Würde dieser Menschen und der menschlichen Geschlechtlichkeit selbst, die von Natur aus auf das Wohl der Ehegatten sowie auf die Zeugung und Erziehung von Kindern hingeordnet ist. Zudem ist sie ein schweres Ärgernis, wenn dadurch junge Menschen sittlich verdorben werden.“
- EKD (zur Frage, ob Sex vor der Ehe heute noch von der Kirche gefordert wird): Nein. Die evangelische Kirche freut sich über alle Paare, die beschließen, ihren Lebensweg zusammen zu gehen und füreinander Verantwortung zu übernehmen. Es bleibt ihnen überlassen, verantwortungsvoll mit solchen Fragen umzugehen.
Unter Christen herrschen verschiedenste Meinungen zu dem Thema.
Oftmals wird jedoch nur unter vorgehaltener Hand darüber geredet, gerade weil es einen sehr intimen Lebensbereich betrifft. Die Realität formt sich dann dementsprechend: Werden Jugendliche (sei es im Freundeskreis oder mit dem oder der ersten eigenen Freundin) erstmals mit Sexualität konfrontiert, besitzen sie meist mangelndes Wissen und eine nicht fundierte eigene Meinung. Oft kommt es zu sexuellen Handlungen.
An diesem Punkt wäre eine
nachträgliche, liebevolle Aufarbeitung des Erlebten der Schlüssel zu einer gesunden Beziehung zur eigenen Sexualität. Meist ist dem jedoch leider nicht so.
Viele junge Christen blicken dann mit Scham auf ihre sexuellen Erfahrungen und fühlen sich wertlos, weil sie den moralischen Maßstäben innerhalb der Gemeinschaft nicht entsprechen.
Bezeichnungen wie
„beflecktes Tuch“ oder
„verwelkte Blume“ prägen das Selbstverständnis vieler junger Frauen. Und viele gläubige junge Männer leiden (ohne hier ein neues Fass öffnen zu wollen) unter Pornographie-Sucht, von der sie sich nicht aus eigener Kraft lösen können.
Statt der vorgehaltenen Hand und einem mahnenden Zeigefinger brauchen Heranwachsende in solchen Situationen viel öfter eine
liebende Umarmung und gute Worte.
Auch ich habe in meiner Jugend schlechte Erfahrungen mit Sexualität gemacht. Auch ich habe erfahren müssen, dass dieses Thema sehr schlecht aufgearbeitet wird. Und statt ewiger Diskussion, was nun nach der Bibel richtig oder falsch ist, hätte mir ein
hörendes Ohr oder eine helfende Hand viel genützt.
Schlussendlich kann ich also festhalten:
Viel mehr als die eigene Einstellung und dem „Mit-dem-Finger-zeigen“ zählt beim Thema Sexualität der Dialog innerhalb der Gesellschaft und die Praxis der gegenseitigen Annahme.
Weiterführende Links:
ojc.de/sexualitaet
bibelwissenschaft.de/sexualitaet-nt
Verfasst: 05.06.2018, 21:54 Uhr